Mehr und mehr Gleichmacherei
In unserer Gesellschaft beobachte ich mit Besorgnis, das wachsendes Bestreben nach Gleichmacherei. Natürlich unter dem Deckmantel „Chancengleichheit“ Alles soll gleich sein. Alle sollen die gleichen Chancen, das gleiche Aussehen, die gleiche Leistung, das gleiche Tempo, finanzen etc. haben. Doch was zunächst nach Gerechtigkeit klingt, wird bei genauerem Hinsehen zur Gefahr für eine gesunde menschliche Entwicklung. Abgesehen davon hat es wenig mir echter Chancengleichheit zu tun. (Dazu aber mehr in einem anderen Beitrag)
Wir sind keine Klone.
Wir sind Menschen. Und jeder Mensch ist einzigartig!
Schon in der Natur sehen wir: Unterschiedlichkeit ist die Grundlage von Vielfalt, Entwicklung und ja es ist auch mit dem Erfolg oder Misserfolg von Fortpflanzung verbunden.
In der Tierwelt werben viele Männchen um die Gunst eines Weibchens. Nicht alle Männchen sehen gleich aus oder verhalten sich ident.
Der eine hat eine größeres Geweih, der andere ist bunter, der nächste lauter,…..
Auch bei der menschlichen Konzeption entscheidet sich die Eizelle für ein bestimmtes Spermium – jenes, das aus biologischer Sicht am besten passt. Und ja nicht das schnellste Spermium gewinnt. 😉
Nicht alle Spermien sind gleich.
Warum sollten wir es dann sein?

Gleichmacherei entsteht oft aus alten Wunden
Viele Menschen, die Gleichheit mit aller Kraft einfordern, haben früh gelernt, dass ihre Einzigartigkeit nicht willkommen war. Vielleicht waren sie zu laut, zu wild, zu sensibel, zu langsam, zu verträumt, kreativ,nervig,…. Und wurden dafür abgelehnt, belächelt oder zurechtgestutzt. Meist jenen, die eigentlich Sicherheit hätten geben sollen und sie so annehmen sollten wie sie sind: ihre Eltern.
Ein Kind, das früh erlebt, dass es so wie es ist „nicht richtig“ ist, passt sich an. Über das über angepasste Kind erzähle ich sehr oft- in meinen Workshops, bei Beratungen und ich rede auch darüber mit meinen StudentInnen in der Uni.
Es lernt, wie man sein muss, um geliebt, gesehen und gehört zu werden. Kennt die eigenen Bedürfnisse und Interessen dann gar nicht.
Diese tief verinnerlichten Muster wirken oft bis ins hohe Erwachsenenalter weiter. Und aus dem Wunsch nach Zugehörigkeit entsteht ein kollektives Ideal der Gleichheit: Nur wenn alle gleich sind, gehöre ich dazu.
Doch genau das ist toxisch.
Gleichwertigkeit ja – Gleichheit nein
Es ist wichtig, dass alle Menschen die gleiche Würde und den gleichen Wert haben. Aber das bedeutet nicht, dass alle Menschen gleich sind oder sein sollen.
Egalitarismus („Sozialtheorie von der [möglichst] vollkommenen Gleichheit in der menschlichen Gesellschaft bzw. von ihrer Verwirklichung“), also das politische oder gesellschaftliche Streben nach völliger Gleichheit, mag gut gemeint sein – aber wenn er zu radikal betrieben wird, erzeugt er genau das Gegenteil dessen, was er bezweckt: Ungerechtigkeit, Entfremdung und Unzufriedenheit. Derzeit geht es Gesellschaftlich gerade in genau dieses Extrem.
Was passiert, wenn alle das Gleiche bekommen – unabhängig von Leistung oder Einsatz?
- Motivation sinkt bei denen die viel Leisten und Einsatz bringen.
- Talente werden nicht gefördert.-Da könnte sich ja jemand dann abgrenzen und „glänzen“.
- Leistung wird unsichtbar gemacht.- Muss so sein, weil nicht jeder kann und will immer das gleiche Leisten.
- Innovation wird gebremst.- Eh klar!
- Menschen fühlen sich nicht gesehen oder anerkannt.- In der Masse geht man unter…
Ich habe meine sechsjährige Tochter gefragt: „Findest du es fair, wenn alle Kinder in deiner Klasse eine Eins im Zeugnis bekommen. Egal ob sie gelernt haben oder nicht, mitgemacht haben oder nicht, ob sie was können oder nicht, oder ob sie überhaupt anwesend sind oder nicht?“
Und sie antwortete natürlich: „Nein – das wäre total unfair.“
Kinder verstehen intuitiv, was Erwachsene oft verdrängen: Gleichheit der Ergebnisse ist nicht gleich Gerechtigkeit.
Wenn wir alle gleich behandeln, obwohl wir unterschiedlich sind, entsteht Unzufriedenheit.
Menschen, die sich anstrengen, fühlen sich übergangen. Wer mehr kann oder will, zieht sich zurück. Kreativität, Leistung und Vielfalt werden erstickt. In vielen Ländern beobachten wir, dass genau dieses Denken zu einem Brain Drain führt: Hochqualifizierte wandern ab, weil sie sich in einer gleichmachenden Gesellschaft nicht mehr gesehen fühlen.
Ein gutes Beispiel sind hier gleichgeschlechtliche Zwillinge aber noch viel mehr eineiige.
Sie teilen sich denselben genetischen Ursprung und sehen sich zum Verwechseln ähnlich – und doch sind sie zwei eigenständige Individuen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Gefühlen, Stärken und Erfahrungen. Diese beginnen bereits im Mutterleib! Wenn Zwillinge von außen ständig nur als „die Zwillinge“ gesehen werden, verlieren sie einen Teil ihrer eigenen Identität. Ihre Individualität wird unsichtbar gemacht. Dabei ist es für eine gesunde psychische Entwicklung entscheidend, dass jedes Kind – auch im Zwillingskontext – als eigenständige Person wahrgenommen, benannt und begleitet wird. Nur so können sie lernen, wer sie wirklich sind, unabhängig vom Spiegelbild neben sich. Da ich mit vielen Zwillingseltern arbeite, sind hier oft auch die Eltern öfters Zwillinge und die haben mir schon oft erzählt, dass sie darunter sehr gelitten haben.
Gleichmacherei verhindert Wachstum.
Gleichmacherei bestraft, wer herausragt. Sie ist nicht gerecht – sondern bequem. Und sie hat ihren Ursprung oft nicht in einem Ideal, sondern in einer tiefen Kränkung: in der frühen Erfahrung, anders gewesen und dafür abgelehnt worden zu sein.
Was wir brauchen ist nicht Gleichmacherei, sondern Beziehung
Menschen müssen lernen, mit Unterschiedlichkeit umzugehen. Dazu gehört Selbstreflexion, Bindungssicherheit und emotionale Reife.
Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin und inneren Frieden verspüre, dann muss ich andere nicht gleich machen, um mich sicher und gut zu fühlen. Wenn ich gut verankert bin, gerecht behandelt werde und zufrieden bin mit mir selbst und meiner Leistung, dann interessiert es mich einfach nicht, was andere bekommen. Ich denke mir oft: Es wird schon einen Sinn haben, warum ich einen bestimmten Auftrag nicht erhalte oder ein Projekt nicht realisiert wird. Meist zeigt sich später, dass genau dadurch Raum für etwas Besseres entstanden ist. Wenn ich davon ausgehe, dass das Leben in Balance ist, dann missgönne ich anderen nichts – und ich halte auch nicht weniger von mir selbst. Ich spüre dann: Ich muss nicht vergleichen, weil ich meinen Wert kenne. ♥️
Und deshalb will ich auch nicht, dass wir alle gleich sein sollen. Denn ich bin einzigartig. Und ich habe sehr viel investiert, um das zu sein, was ich heute bin. Dass ich Expertin bin für Epigenetik und prä- und perinatale Wissenschaften, war nicht nix! Es ist das Ergebnis von Jahren des Lesens, Lernens, Übens, Reflektierens, Investierens. Wenn nun jede beliebige Person von sich behauptet, sie sei ebenfalls Expertin auf diesem Gebiet, ohne diesen Weg gegangen zu sein, dann wird meine Mühe, meine Tiefe, mein Einsatz einfach ignoriert und ausgelöscht. Und genau das zeigt: Gleichmacherei entwertet!
Sie ist nicht gerecht – sie ist eine Form der stillen Auslöschung von Leistung, Tiefe und Entwicklung.
Unsere Kinder brauchen Erwachsene, die Vielfalt vorleben und akzeptieren. Die sagen: „Du bist okay, auch wenn du anders bist.“
Ja ich vergleiche meine Kinder, aber anders als andere.
Ich hebe ihrer Einzigartigkeit auf.
Das eine Kind ist wirklich extrem gut in Mathe.
Das andere Kind ist so lösungsorientiert, dass es schon die Lösung hat noch bevor andere merken sie haben ein Problem.
Das dritte ist super sozial und stellt sich vor jedes Kind was schlecht behandelt wird.
Ich könnte noch viel mehr schreiben, aber ich denke man versteht was ich meine.
Die Leistung anerkennen ist wichtig. Die Unterschiede feiern, ohne andere zu erniedrigen ist wichtig.
Doch wie ein Pendel schwingen wir anscheinend immer wieder von einem EXTREM ins andere EXTREM und schaffen es nicht lange in der Balance zu bleiben.
Fazit:
Gleichmacherei ist nicht die Antwort auf erlebte Ungerechtigkeit. Sie ist ein Symptom tiefer Verletzung. Und sie verhindert Entwicklung.
Lasst uns statt dessen echte Vielfalt zulassen. Nicht Gleichheit um jeden Preis, sondern echte Verbindung durch Respekt, Offenheit und Mut zur Individualität.
Denn niemand von uns wurde geboren, um gleich zu sein. Wir wurden geboren, um einzigartig zu sein.
Lasst uns dafür sorgen, dass jene, die Unterstützung brauchen, weil sie Verletzungen erlebt haben, genau das bekommen, was ihnen hilft. Nicht Gleichmacherei, sondern echte Zuwendung.