Der Wind heulte über die schneebedeckten Felder, und das kleine Bauernhaus am Rande des Rothwaldes. Drinnen war es warm, das Feuer im Kamin knisterte leise, und der Duft vom Tannenbaum zusammen mit verbranntem Räucherwerk hing noch in der Luft. Die Fenster waren mit Eiskristallen überzogen, die wie zarte Spitzenmuster das Fenster verzierten. Im Schaukelstuhl neben dem Fenster saß eine Frau, in eine weiche Decke gehüllt. Ihre Augen wanderten gedankenverloren zum Fenster hinaus in die Dunkelheit der Nacht.
Es war Heiliger Abend, und die Familie hatte ein wunderschönes und friedliches Fest gefeiert. Lachen, Kerzenlicht, gutes Essen einige Geschenke gab es und Lieder hatten den Raum erfüllt, bis die Müdigkeit schließlich alle in die warmen Betten getrieben hatte. Alle, bis auf die Frau im Schaukelstuhl. Sie blieb wach, wie jedes Jahr an diesem besonderen Abend.
Etwas lag in der Luft – ein Gefühl, das schwer zu beschreiben war. Es war, als würde die Welt selbst den Atem anhalten, als würde die Dunkelheit draußen nicht nur Kälte bringen, sondern auch Geheimnisse. Der Wind heulte lauter, und die Frau zog die Decke enger um sich. Vielleicht war es die wilde Jagd, die durch die Nacht zog, dachte sie. Die alten Geschichten kamen ihr in den Sinn, von Geistern, die durch die Lüfte jagten, auf der Suche nach unvorsichtigen Wanderern. Es schauderte sie leicht, doch sie wusste: Das Haus war sicher. Sie hatten geräuchert – wie es Brauch war. Der Stall und die Wohnräume waren von der Familie sorgfältig mit Kräutern ausgeräuchert worden, um alles Böse fernzuhalten.
Nun, da die Dunkelheit der Nacht das Land umhüllte, begann eine besondere Zeit: die Rauhnächte. Der heutige Abend markierte den Beginn – und er steht für den Jänner, den Anfang des neuen Jahres. Für einen Moment blickte die Frau ins Feuer, und dann wieder zum Fenster. Draußen tanzten Schneeflocken im Schein des Mondes, und eine seltsame Stille lag über dem Haus.
Der Archetyp der diese Nacht begleitete war :“Die Unschuldige“ – Sie war neugierig, spontan, optimistisch, ehrlich, uneitel und demütig. Ihr Ziel ist es sich sicher und zugehörig zu fühlen. Sie sieht das Gute in allem. Aber sie hat auch Ängste zum Beispiel verlassen zu werden, nicht dazuzugehören. Aber durch ihr Vertrauen und den Glauben an Glück und Harmonie weiß sie, dass am Ende alles gut wird.
Die Frau spürte dies in dieser Nacht sehr stark. Sie überlegte und reflektierte wie dieser Anteil von ihr ihr im nächsten Jahr helfen konnte. Die Unschuldige erinnerte sie daran, wie es war, alles mit kindlicher Neugier zu sehen, sich über das Kleinste zu freuen und daran zu glauben, dass alles möglich ist. Sie schloss die Augen und atmete tief durch.
„Was möchte ich im kommenden Jahr bewahren. Welche neuen Wege möchte ich wagen? Wie und was will ich im Jänner tun für mich, meine Familie und meinen Hof?“
Sie griff nach dem kleinen Notizbuch, das auf dem Tisch neben ihr lag. Darin trug sie jedes Jahr ihre Gedanken der Dunkelnächte ein und die Wünsche und Vorsätze für das nächste Jahr die sie in den Rauhnächten hatte.
Sie schrieb: „Ich möchte die Welt mit offenen Augen sehen, mit Neugier und Hoffnung. Möge ich das Gute suchen und finden, in anderen und in mir selbst.“
Der Wind draußen ließ für einen Moment nach, als würde er ihr zuhören. Ein warmes Gefühl durchströmte sie, und sie wusste, dass diese Nacht der Anfang von etwas Besonderem war.
Noch lange saß sie dort, das Knistern des Feuers im Ohr, die Magie der Rauhnacht im Herzen, und das Gefühl, dass der Anfang eines neuen Kapitels bevorstand.
In den kommenden Nächten bis zum 6. Jänner würde sie sich nun weiter Zeit für sich selbst nehmen und die Rauhnächte nutzen um gestärkt ins kommende Jahr starten zu können.
Geschrieben von Magdalena Kelaridis Nov 2024